Hoffnung auf Freiheit.

Langenthals Ehrenbürger Simon Kuert mit neuem Buch

Vor 500 Jahren erhoben sich Bauern im Heiligen Römischen Reich und in der Eidgenossenschaft gegen soziale Ungerechtigkeit und kirchliche Willkür. In Bern stiess der Ruf nach Reform auf fruchtbaren Boden – angeführt von mutigen Predigern und getragen von einem tiefen Verlangen nach Freiheit, Gerechtigkeit und Mitbestimmung. Die Bewegung hatte Auswirkungen bis in den Oberaargau.

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Text: Eing. / Simon Kuert / pjl
Datum: 10. August 2025

Foto: Martin Guggisberg

Im Jahr 1525 kam es in vielen Regionen Deutschlands und der Eidgenossenschaft zu massiven Bauernaufständen. Sie richteten sich gegen die drückende Last von Abgaben und Fronarbeit. Mit dem Evangelium als moralischem Kompass forderten die Aufständischen nicht nur wirtschaftliche Erleichterungen, sondern auch politische Teilhabe. Ihre Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft wurde jedoch blutig zerschlagen: Rund 80’000 Menschen verloren ihr Leben in den Kämpfen gegen die Fürsten und Herren des Reiches.

Über Jahrhunderte hatte ein altes Rechtsverständnis den Bauern gewisse Freiheiten gewährt, doch mit der Ausbreitung des römischen Rechts wurden ihre traditionellen Rechte beschnitten. Territorialherren und geistliche Grundherren sicherten sich alleinigen Grundbesitz, die Frondienste nahmen zu, und selbst grundlegende Freiheiten wie Jagd und Holzsammlung wurden eingeschränkt. Wer sich gegen diese Willkür stellte, sah sich schnell vor einem Gericht, das die Interessen der Obrigkeit vertrat.

Der Funke der Rebellion

In dieser aufgeheizten Stimmung fanden die Lehren Martin Luthers ein empfängliches Publikum. Seine Kritik an kirchlichen Missständen entfachte nicht nur eine religiöse, sondern auch eine soziale Bewegung. Besonders seine Schrift «Von der Freiheit eines Christenmenschen» wurde zum geistigen Antrieb der aufbegehrenden Bauern und Bürger.

Was als friedliche Verhandlung mit den Herrschern begann, eskalierte rasch. Enttäuschte Hoffnungen und gebrochene Versprechen führten zu militanten Erhebungen, angeführt von wohlhabenden Bauern, Handwerkern und reformfreudigen Predigern. In Bern leitete ein Priester aus Kleinhöchstetten die Reformationsbewegung ein: Georg Brunner. Bereits ab 1520 las er die Schriften Luthers und predigte mit wachsendem Eifer das «wahre Evangelium». Er prangerte die kirchliche Hierarchie an und bezeichnete den Papst als «Antichrist» – Worte, die in der konservativen Kirchenlandschaft seiner Zeit für Aufsehen sorgten.

Doch Brunners mutige Predigten riefen auch Gegner auf den Plan. Während seine Anhänger zahlreicher wurden, verklagte ihn der Dekan seines Kirchenbezirks, Ulrich Güntisberg, beim Berner Rat und beim zuständigen Bischof von Konstanz. In einem aufsehenerregenden Verfahren musste sich Brunner vor dem Berner Magistrat verteidigen – und gewann. Die Reformation in Bern nahm Fahrt auf.

Die Forderungen der Bauern – Ein Ruf nach Gerechtigkeit

Der Bauernkrieg brachte ein Manifest hervor, das sich rasch über die Druckerpresse verbreitete: die «Zwölf Artikel» der oberschwäbischen Bauern. Die Forderungen waren klar: freie Pfarrerwahl, Einschränkung der Leibeigenschaft, Reduzierung der Abgaben und die Rückgabe der Gemeindewälder. Besonders stiess den Bauern die Aneignung von Wild- und Fischbeständen durch die Obrigkeit auf – schliesslich habe Gott den Menschen Herrschaft über die Natur gegeben. Die Einleitung dieser Zwölf Artikel wurde vom reformierten Prediger Christoph Schappeler verfasst und enthielt schon einen zentralen Grundsatz der Reformation: Die Gemeinden wollen sich orientieren am alleinigen Haupt der Kirche, an Christus, der die Menschen erlöst und Liebe und Versöhnung gelebt hat. Auch Brunner hatte bereits so gepredigt. Ein bemerkenswerter Punkt war der letzte der Zwölf Artikel: Falls eine Forderung nicht mit der Heiligen Schrift vereinbar ist, sind die Bauern bereit, von ihren Forderungen abzuweichen. Von diesen Zwölf Artikeln wurden innert kürzester Zeit an verschiedenen Druckorten über 25’000 Exemplare gedruckt und im ganzen Aufstandsgebiet von den wenigen Lesekundigen den vielen Analphabeten vorgetragen. Sie entwickelten so eine enorme Breitenwirkung.

Bern am Rande der Rebellion

Bern, damals einer der mächtigsten Stadtstaaten Europas, stand am Rande der Aufstandsgebiete. Der Aargau war seit 1415 bernisch und grenzte an die Aufstandsgebiete in Süddeutschland (Waldshut, Klettgau). So besass etwa das bernische Kloster Königsfelden die Zehntrechte von Waldshut, wo der Zwinglianer und Bauernfreund Balthasar Hubmaier predigte. Der allgemeine bäuerliche Unmut sprang auch nach Bern über: Bauern aus klösterlichen Grundherrschaften wie St. Urban und Thunstetten reichten zahlreiche Beschwerdeschriften ein. Ihre wirtschaftlichen Forderungen deckten sich weitgehend mit den «Zwölf Artikeln» – mit zwei Ausnahmen: Die Leibeigenschaft war in Bern schon seit dem 15. Jahrhundert weitgehend abgeschafft, und die Gemeindewahl der Pfarrer wurde noch nicht ausdrücklich gefordert. Erst zwei Jahre später wurde die wichtigste Forderung der oberdeutschen Bauern auch in Bern wirksam – im Oberaargau, in Madiswil. Dort lehnten sich die Dorfbewohner gegen einen vom Abt von St. Urban eingesetzten Pfarrer auf. Während einer Predigt kam es zum Tumult, und die wütenden Bauern bezeichneten den Abt als Lügner. Sie wollten den vom Abt eingesetzten Pfarrer nicht und verlangten einen, der ihnen «den rechten Weg zur Seligkeit» zeigt und das Evangelium lauter und rein predigt, ohne menschlichen Zusatz. Sie stellten die herkömmliche Präsentationspflicht des Klosters und damit auch die geistliche Grundherrschaft infrage.

Der Berner Magistrat vermittelte geschickt und erlaubte den Madiswilern schliesslich, ihren eigenen Pfarrer zu finanzieren – ein kleiner, aber bedeutender Sieg für die reformfreudige Bevölkerung.

Ein Erbe der Rebellion

Der Bauernkrieg wurde brutal niedergeschlagen. Nicht unbeteiligt daran war Luther, der die Bewegung ausgelöst hatte. Er duldete nicht, dass die Bauern ihren Aufstand mit dem Evangelium legitimierten. Er rief deshalb in verhängnisvollen Schriften die Fürsten zu deren Ermordung auf. Trotz der Niederlage breitete sich die Reformation weiter aus, allerdings unter der Deutungshoheit Luthers. Im Reformationszweig, der von Zwingli ausging, blieb das Evangelium ein Stachel im Fleisch auch der staatskirchlichen Obrigkeitsstaaten. Vor allem in Täufergemeinden lebten die Vorstellungen von einem solidarischen Gemeinwesen mit einer Obrigkeit, die den «gemeinen Nutzen» dem Eigennutz vorzieht, weiter. Schliesslich fanden die republikanisch-demokratischen Vorstellungen ihre Verwirklichung in der direkten Demokratie, wie sie in unserem Land in der Mitte Europas lebt.

Der Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit war nicht umsonst.

«Freiheit»: Flugschrift aus dem Deutschen Bauernkrieg. 1522 bei Thomas Murner, aus der Flugschrift «Vom grossen lutherischen Narren». – Bild: zvg
Madiswil, Zehntspeicher (sinnbildlich): 1527 wurde eine zentrale Forderung der Bauern im Bauernkrieg umgesetzt: Die Gemeindewahl eines Pfarrers, der den Bauern den «rechten Weg zur Seligkeit weist». Gemeint war ein Geistlicher, der nicht mehr in die traditionelle Kirchenhierarchie eingebunden war. Ein Pfarrer als gewöhnlicher Bürger! – Bild: zvg

Zum Bild: Die «Göttliche Mühle» ist eine der bekanntesten Flugschriften der Zeit. Sie beschreibt, wie sich das Evangelium verbreitet: Von Gott geht die frohe Botschaft zu Jesus und den Heiligen, wo sie gemahlen wird, zu Martin Luther, der sie in Buchform in Umlauf bringt. Aber der Papst und die Bischöfe wollen davon natürlich nichts wissen. Das Evangelium motiviert den «Karsthans» (Symbol der aufmüpfigen Bauern) zum Einsatz für eine gerechtere politische Ordnung. Der Holzschnitt wurde 1521 in der Druckerei von Christoph Froschauer gedruckt. – Quelle: Zentralbibliothek Zürich / zvg


Zum Buch – Hoffnung auf Freiheit

Im Jahr 1525 erhoben sich im Heiligen Römischen Reich Bauern, Städter und Tagelöhner gegen soziale Ungerechtigkeit und Willkürherrschaft – ein Ereignis, das tief in die Reformationsgeschichte und die politische Entwicklung Europas eingriff. Zum 500-Jahr-Jubiläum nähert sich das Buch von Simon Kuert dem Bauernkrieg in vier eigenständigen Aufsätzen – aus theologischer, historischer und persönlicher Perspektive.

Im Mittelpunkt stehen Thomas Müntzer, sein Weg in die Eidgenossenschaft, die Reaktionen in Bern und eine anonyme Flugschrift, die die Eidgenossenschaft als Modell für eine gerechte Ordnung beschreibt. Der Autor verknüpft wissenschaftliche Analyse mit biografischer Reflexion – getragen von der Dankbarkeit, in einer demokratisch-sozialen Gesellschaft leben zu dürfen, und dem Wunsch, deren Werte auch für kommende Generationen zu bewahren.

Zum Autor

Simon Kuert (*1949), aufgewachsen in Langenthal, Schulen und Lehrerseminar, erste Stelle als Primarlehrer in Pratteln BL, nach dem Studium Wiss.Ass. in Kirchengeschichte in Bern, Pfarrer in Madiswil, Leiter des Pilotprojekts Neue Unterweisung, in Bern, Regionalpfarrer im Oberaargau und nebenamtlicher Beauftragter für Regionalgeschichte, Pfarrer in Langenthal. Zahlreiche Publikationen zu regionalgeschichtlichen Themen, darunter: «Demokratie im Herzen der Schweiz», «Von Zwingli zu Gotthelf» und Oberaargauer Sportbuch, Kulturpreis (2013) und Ehrenbürger (2021) der Stadt Langenthal.

 

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