«Ein Tag im Leben von ...» – Amélie Ledermann.

«Von nichts kommt nichts»

Amélie Ledermann (18) aus Langenthal gehört zu den besten Nachwuchs-Stabhochspringerinnen der Schweiz. Zwischen «Gymer», Training und grossen Zielen erzählt sie von ihrem Alltag.

Anlauf

Text: Protokoll: Patrick Jordi / Fotos: zvg
Datum: 6. Juni 2025

Mittwoch ist quasi mein Lieblingstag – und zwar nicht, weil ich da ausschlafen könnte. Im Gegenteil: Auch wenn ich erst um neun Uhr Schule habe, bin ich meistens vorher schon wach. Ich nutze den Morgen, um Hausaufgaben zu machen oder für Tests zu lernen. Am Abend nach dem Training geht nämlich fast gar nichts mehr. Da bin ich platt.

Nach drei Lektionen Schule geht’s heim zum Mittagessen. Ich wohne noch zu Hause bei meinen Eltern an der Baumgartenstrasse. Das darf auch noch eine Weile so bleiben.

Am Nachmittag lerne ich für die Schule oder mache einfach mal nichts. Um 18 Uhr steht das Stabhochsprungtraining mit Zephanja Abbühl an. Mit dem Velo geht’s ins Hard. Unsere Gruppe ist klein, wir sind etwa zu fünft, aber wir helfen uns gegenseitig, auch wenn der Trainer natürlich den grössten Einfluss hat. Vor dem Training brauche ich nur eine Banane oder ein kleines Zvieri.

Vor einigen Wochen hat das Sommertraining angefangen. Aufwärmen, Sprints, Dehnen, Seilspringen, dann holen wir die Stäbe. Wir müssen alles selbst einrichten – Matte abdecken, Lattenständer aufstellen und so weiter – bevor wir überhaupt ans Springen denken. Im Training geht’s nicht wie im Wettkampf um die Höhe, sondern um Technik, Abläufe und Details.

Ich trainiere sechs Mal pro Woche, nur sonntags ist frei. Mittwochs und samstags ist Stabhochsprung, samstags in Thalwil, unter der Woche auch Sprint und Kraft mit meiner Schwester bei Marc Hammel.

Früher war ich Kunstturnerin. Zehn Jahre lang. Angefangen im Kindergarten. Irgendwann kam Leichtathletik dazu. Mein Niveau im Turnen war okay, aber nicht überragend. Ich wusste von Vorbild Angelica Moser und anderen, die ebenfalls vom Kunstturnen zum Stabhochsprung wechselten – das hat mich inspiriert. Jetzt bin ich 18, seit zwei Jahren konzentriere ich mich voll auf den Stab.

Im März habe ich an den Hallen-Nachwuchs-Schweizermeisterschaften in Magglingen Gold geholt – mein dritter Meistertitel. Ich habe den Vereinsrekord auf 3.90 Meter gesteigert. Die magische 4-Meter-Grenze ist mein nächstes Ziel. Bis Ende Juli muss ich sie schaffen, um mich für die U20-EM in Finnland zu qualifizieren (Anmerkung der Redaktion: Anfang Juni hat Amélie Ledermann die 4 Meter bereits geschafft; das Gespräch wurde im Frühling 2025 aufgezeichnet – siehe auch Zusatzabschnitt weiter unten).

Aktuell befinde ich mich mitten in den Abschlussprüfungen zur Matura. Nach dem «Gymer» will ich mir ein Zwischenjahr gönnen. Mehr Zeit für den Sport. Später möchte ich studieren, vermutlich etwas mit Naturwissenschaften – Bio und Chemie sind meine Schwerpunktfächer.

Ich denke nicht den ganzen Tag an Sport. Aber manchmal merke ich, wie der Kopf schon im Abendtraining ist. Und umgekehrt denke ich im Training nicht mehr an die Schule. Das hilft.

Ich bin nicht das Wunderkind. In der Schule muss ich nicht restlos alles geben, um mitzukommen. Ich habe einfach früh gelernt, diszipliniert und selbständig zu sein. Von nichts kommt nichts. Und wenn ich mal Zeit habe, zeichne oder nähe ich gerne. Oder ich liege einfach rum. Faul sein gehört auch dazu.

Aktuell

Zum Monatswechsel Mai/Juni ist Amélie Ledermann der Sprung über die 4-Meter-Marke geglückt. Diese Top-News schaffte es gerade nicht mehr ins gedruckte Stadtmagazin MYLA, das per 3. Juni 2025 erschienen ist (vgl. «Ein Tag im Leben von …» mit Amélie Ledermann auf S. 29 des aktuellen Magazins).

Mit dem Sprung über die 4-Meter-Marke hat Amélie Ledermann die Limite für die diesjährige U20-EM bereits erreicht – eigentlich hätte sie dafür noch bis Ende Juli 2025 Zeit gehabt (siehe Haupttext oben).

Gemäss Ledermann findet die definitive Selektion für die EM erst Ende Juli statt. «Erst dann erfahre ich, ob ich wirklich nach Tampere, Finnland, reisen kann», sagt die 18-Jährige gegenüber MYLA. Sie selbst rechnet jedoch bereits ziemlich fest damit, dass sie hinreisen und ihr Talent auch an der U20-Europameisterschaft unter Beweis stellen darf.

Patrick Jordi

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